Julianne Moore auf dem Pferdehof, aber weit weg von beschwingter Bibi-und-Tina-Heiterkeit.
Lass das mal die Mama machen…
„Kleine Kinder, kleine Sorgen. Große Kinder, große Sorgen“, lautet eine Lebensweisheit, die man im Gespräch über den Nachwuchs häufig zu hören bekommt. Diesen Gedanken ausformulieren möchte nun offenbar der Film „Echo Valley“, der hierzulande am 13. Juni auf dem Streamingdienst Apple TV+ veröffentlicht wird, während er in Nordamerika kurz vorher einen limitierten Kinostart erhielt. Mit Oscar-Preisträgerin Julianne Moore und der aktuell in Hollywood schwer angesagten Sydney Sweeney („Eden“) ist das Thriller-Drama prominent besetzt. Die überzeugenden Darbietungen der beiden Hauptdarstellerinnen können jedoch nicht kaschieren, dass unter dem Strich etwas fehlt, um die dritte abendfüllende Regiearbeit des Briten Michael Pearce zu einer nachhaltig aufwühlenden Angelegenheit zu machen.
Müde und abgekämpft sieht die von Moore gespielte Kate Garretson aus, die irgendwo auf dem Land, mehr schlecht als recht, einen Pferdehof zu bewirtschaften versucht. Schon früh gibt es Hinweise auf den Tod ihrer Lebensgefährtin Patty (Kristina Valada-Viars), deren Sprachnachrichten Kate während der Arbeit über Kopfhörer lauscht. Eine therapeutische Maßnahme? Sehnsucht? Wahrscheinlich beides. Auf jeden Fall ist klar, dass sie den Verlust schwer beiseiteschieben kann. Bröckelig ist nicht nur ihre Schlafzimmerdecke. Auch durch ihr Inneres verläuft ein Riss.
Zusätzliche Sorgen bereitet Kate ihre drogensüchtige Tochter Claire (Sweeney), die immer wieder verspricht, ihr Leben in den Griff zu kriegen, aber stets in alte Muster verfällt. Hilfe benötigt die bei dem schmierigen Dealer Jackie (Domhnall Gleeson) in der Kreide stehende junge Frau, als sie ihren On-off-Junkie-Freund Ryan (Edmund Donovan) während eines Zeltausflugs tötet. Kate, die anders als ihr Ex-Mann Richard (Kyle MacLachlan) für Claire regelmäßig in die Bresche springt, zögert nicht lange und versenkt die Leiche in einem nahegelegenen Badesee – ein merkwürdiges Manöver des von Brad Ingelsby („Run All Night“) verfassten Drehbuchs, da an diesem Ort eine Entdeckung viel wahrscheinlicher ist als in irgendeinem Tümpel. Kates Aufräumaktion scheint das Problem zunächst aus der Welt zu schaffen. Doch dann tritt eine unschöne Wahrheit zu Tage, und natürlich steht auch Jackie auf der Matte, um abzukassieren.
Thriller-Motor stottert
Wie weit würden Eltern gehen, um ihre Kinder zu schützen? „Echo Valley“ ist beileibe nicht der erste Film, der sich mit dieser spannenden, moralisch komplexen Frage befasst. „The Deep End - Trügerische Stille“ (2001) mit Tilda Swinton, „Mother“ (2009) von Bong Joon-ho und der deutsche Beitrag „Wir Monster“ (2015) etwa haben die mütterliche und/oder väterliche Bereitschaft, den eigenen Nachwuchs bedingungslos zu verteidigen, bereits erforscht. Bahnbrechend Neues hat der Apple-Thriller nicht hinzuzufügen. Dennoch ist das spezielle Abhängigkeitsverhältnis zwischen Kate und Claire durchaus reizvoll.
Kann man sein Kind einfach von sich stoßen, wenn es nachts im strömenden Regen völlig aufgelöst vor der Tür steht, weil gerade etwas schrecklich aus dem Ruder gelaufen ist? Und klammert man sich nicht so lange wie möglich an die Hoffnung, dass der Sohn oder die Tochter irgendwann die Kurve kriegen wird? Man selbst fragt sich schließlich auch: Was habe ich in der Erziehung falsch gemacht? Nicht zuletzt dieses Grübeln, diese Gewissensbisse können unter Umständen auf perfide Weise ausgenutzt werden.
„Echo Valley“ zeigt Momente, in denen ehrliche Verbundenheit zum Vorschein kommt. Gleichzeitig gibt es allerdings auch Szenen von erschütternder Härte. Szenen, in denen es heftig knallt. Julianne Moore arbeitet die Niedergeschlagenheit ihrer Figur nuanciert heraus, zeichnet das Porträt einer Frau, die ihr Leben nur mit Ach und Krach zusammenhält, gelegentlich aber überraschend entschlossen zu handeln weiß. Sydney Sweeney wiederum transportiert eindrücklich die Flatterhaftigkeit Claires und spielt sich mitunter die Seele aus dem Leib. Umso bedauerlicher, dass sie irgendwann von der Bildfläche verschwindet.
Regisseur Michael Pearce, der schon in seinem packenden Debütwerk „Beast“ (2017) eine toxische, komplizierte Beziehung in den Mittelpunkt rückte, inszeniert Augenblicke von großer emotionaler Kraft. Des Öfteren verpasst es sein neuer Film jedoch, die Ängste und Verletzungen der Protagonistinnen mit der nötigen Sorgfalt zu sezieren. Stattdessen sollen leidlich aufregende Thriller-Elemente die Spannung ankurbeln. Obwohl immer mal wieder von unheilvoller Musik begleitete Nachtimpressionen zu sehen sind, hält sich der Nervenkitzel in Grenzen.
„Echo Valley“ nimmt es überdies mit der Logik nicht allzu genau, was bei einer etwas dichteren Atmosphäre wahrscheinlich weniger ins Auge springen würde. Ebenfalls schade, dass Kyle MacLachlan nur einen nichtssagenden Kurzauftritt absolvieren darf. Die Figur des Ex-Mannes taucht zu Beginn auf, hat für den Handlungsfortgang dann aber keinerlei Bewandtnis mehr.
Fazit
Der neue Apple-Film punktet mit guten Schauspielleistungen und einer griffigen Prämisse, holt jedoch längst nicht alles aus der Geschichte um eine schwierige Mutter-Tochter-Beziehung heraus.
Autor: Christopher Diekhaus